Freitag, 1. November 2024
 
   
 



DOPPELDECKER

Das „Mountain & ­Opening House“ dient dem Gründer der ­japanischen Turnschuh-Marke Dragon Beard oben als Design-Studio und Büro, unten als Wohnhaus


Spricht man die beiden Architek­ten von Kiotos Eastern ­Design ­Office auf ihr „Mountain & ­Opening House“ an, werden sie so poetisch, wie es fast nur Asiaten zu sein wagen: „Es ist eine Höhle und auch eine nautische Form. Es fliegt davon und ist dennoch verankert. Es treibt und ist gleichzeitig heimelig. Es ist Himmel und es ist Erde. Es ist weit entfernt und trotzdem ungeheuer nah.“

 

Für Anna Nakamura sehen die Highclass-Viertel dieser Welt fast immer gleich aus. Gemeinsam mit ihrem Partner Taiyo Jinno stellte die Japanerin mit dem „Mountain & Opening House“ ein Wohnhaus in Takarazuka City in der Präfektur Hyōgo auf der Insel Honshū fertig, das sich diesen Vorwurf ganz bestimmt nicht gefallen lassen muss. „Der globale Einheitslook entsteht, weil die ursprüngliche Topografie der Gelände meist in flaches Land umgewandelt wird, damit man dann darauf Häuser bauen kann. Eingeebnetes Land verliert aber seine Topografie. Wir entschlossen uns also, bei unserem Projekt das Haus dem Gelände anzupassen und nicht umgekehrt“, erklärt Nakamura. Das Eastern ­Design Office entschied sich, lieber eine eigenen Topografie zu schaffen.

 

Zum Spatenstich rollten keine Gerätschaften an, um das Bauland plan zu walzen. Im Gegenteil. Das Grundstück liegt an einem 330 Meter hohen Hügel und hat eine Neigung von 18 Grad. Um auf dem abschüssigen Gelände eine Architektur abseits des Einheitsbreis entstehen zu lassen, formte das Eastern Design Office aus der Erde des Geländes zwei Erdhügel und so eine wellenförmige Landschaft. „Auf diese Aufschüttungen setzten wir die obere Etage des Hauses. Es ist fast so, als würde sie schweben. Der Rest des Hauses ist in den Hang hineingebaut“, so Jinno.

 

Der Bauherr des unkonventionellen Hauses ist der Gründer des japanischen Turnschuh-Labels Dragon Beard. Sein Auftrag lautete: Der Bau sollte Wohnen und Arbeiten miteinander verbinden, beide Bereiche aber dennoch voneinander getrennt lassen. Der obere Teil ist nun der Part, der in dem typisch asiatisch deskriptiven Projektnamen mit „Opening“ gemeint ist. Die L-förmige Konstruktion dient dem Turnschuhproduzenten als Design-Studio und Büro. Für die ­Architekten sieht ihre „große, kurvige Öffnung aus, als würde ein Drachen über den Berg gleiten“. ­Besonders spektakulär an diesem Arbeitsplatz: der weite Blick über das Meer, die 60 Kilometer entfernten Berge und den Golf von Osaka. Die Höhendifferenz am Grundstück beträgt ganze acht ­Meter – das ist höher als ein gewöhnliches Zwei-Etagen-Haus. Unter dem schwebenden Oberteil liegt der an den Hang gebaute „Mountain“-Teil des Hauses. Hier befinden sich die Privaträume des Turnschuh-Chefs. „Der Wohnbereich ist vom Hang und an den Seiten von den Aufschüttungen eingerahmt. Ein Haus, das in die Erde gebaut wurde, ­versprüht Entspannung“, so Nakamura. Von unten stützt das Felsgestein des Hügels das Fundament.

 

Die Architekten ließen die eineinhalb Meter dicke Erdschicht über dem Gestein abtragen und formten daraus die beiden Aufschüttungen. Dort, wo der Fels über der Erde zum Vorschein kommt, wurde er nicht etwa entfernt, sondern ganz im Gegenteil erst richtig in Szene gesetzt. Alles andere wäre auch gar nicht möglich gewesen. „Der Stein ist so hart, dass selbst Schaufel­bagger dort nicht durchgekommen wären“, so Jinno. Allerdings passt das Beibehalten dieser Erhebungen so exakt ins Konzept der „eigenen Topografie“, dass es beinahe egal ist, ob hier kurzerhand die Not zur Tugend gemacht wurde – oder nicht.

 

Für den Architekten hat dieser geschützte und von der Straße aus nicht einsehbare Wohnbereich, eine besonders heimelige Qualität. „Die Privaträume sind so gemütlich wie eine Höhle, die sich ein Bär zum Überwintern suchen würde“, schwärmt er. Schöner hätte man das einfach nicht beschreiben können.

 

 

 

 

Der Gründer des japanischen Turnschuh-Labels „Dragon Beard“ ließ sich ein Büro- und Wohnhaus bauen, das wie ein architektonisches Fabeltier
über den Berg gleitet


 



 

Text

Sandra Piske

 

Fotos

Koichi Torimura

 

Komplette Story: H.O.M.E. März 2011