Montag, 2. Dezember 2024 |
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Am Tag nach der Eröffnung meint es das Wetter gut mit der „träumerei“. Es ist ein sonniger Samstag, die Mitarbeiterinnen tragen viel Kaffee an die voll besetzten Tische vor dem Café. Alles ist neu, und ob die Pläne und Arbeitsabläufe, an denen in den letzten Monaten gefeilt wurde, auch greifen, wird jetzt in der Praxis überprüft. Das Telefon an der kleinen Rezeption klingelt, die Hausherrin nimmt den Hörer ab. „Nein, es sind noch Zimmer frei“, gibt sie Auskunft. „Nein, Sie sprechen mit Jessica.“
Danach bleibt sie still. Stattdessen lächelt sie über die Überraschung des Anrufers, der nicht glauben kann, dass er tatsächlich mit der bekannten Schauspielerin spricht.
Sie hat zusammen mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Sandra „die träumerei“ erdacht, erarbeitet und zuweilen erlitten. Sie haben Pläne entworfen, Accessoires gekauft, sich einen Traum erfüllt. Bei der Eröffnung am Abend zuvor haben die Schwestern vor laufender Kamera aus Rührung geweint. Sandra wird das Alltagsgeschäft leiten und hat nichts dagegen, wenn sich der Hauptteil der Medien auf ihre in Pressearbeit erprobte Schwester stürzt.
Die zweite Hausherrin führt lieber die interessierten Einheimischen die geschwungenen Treppen zu den vier Zimmern hinauf und antwortet auf die erstaunten Fragen, wer sich denn so etwas Schönes einfallen lasse: „Eine Architektin, ein Innenarchitekt, meine Schwester und ich!“
Vor etwa zwei Jahren hatten die Schwestern die Idee, jenes Haus, das schon in ihrer Kindheit einen mystischen Platz in ihrer Fantasie eingenommen hatte, zu einem Design-Hotel zu machen. 30 Jahre war das Fachwerkhaus aus dem Jahre 1623 zwischen den beiden Häusern der Familie Schwarz in der Oberen Pfarrgasse vor sich hingerottet.
Der Vorbesitzer, ein Architekt, hatte es verfallen lassen, da er das Gebäude wegen Denkmalschutzbestimmungen nicht seinen Vorstellungen entsprechend hatte umbauen dürfen. „Das Haus stand immer mittendrin, egal, von welchem Haus wir herausgeblickt haben“, sagt Jessica Schwarz. Nach mehreren Versuchen, es zu kaufen, spielten schließlich die Zeit und der Preis es dem Schwarz-Clan irgendwann in die Hände.
Die Bauarbeiten begannen im September 2007. Für den Umbau wurde das Haus mit hydraulischen Pressen um 60 Zentimeter angehoben. Die Sanierung erfolgte nach ökologischen Gesichtspunkten unter Verwendung natürlicher Materialien. Den vier Räumen wurde eine eigene Identität verliehen. Sie tragen die Namen „Jademansarde“, „Goldspeicher“, „Elfenbeinzimmer“ und – nach der Lieblingsfarbe von Jessica Schwarz – „Malvensuite“.
Für das Gestaltungskonzept der träumerei ist der Berliner Architekt und Designer Johannes Müller-Baum verantwortlich. Trotzdem ließen die Hausherrinnen nicht einfach nur machen. Sie fuhren bis nach Belgien, um die richtigen Badezimmerkacheln für den Goldspeicher zu finden. Dort hängen auch kleine goldene Schwalben an der Wand, die ebenfalls auf das Gespür der Schauspielerin zurückgehen. Ebenso die Stühle von Moroso. Die Mutter wurde bei Einkaufstouren im Land Rover bis obenhin mit Bettwäsche und Kissen zugedeckt. Die träumerei, das wird gerne betont, sei in erster Linie ein Gemeinschaftsprojekt. Im Elfenbeinzimmer ist ein Millionen Jahre alter Stoßzahn eines Mammuts in die Wand eingelassen. Es ist ein Geschenk des Vaters, der in früheren Jahren als Importeur mit Elfenbein gehandelt hat. Heute betreibt Thomas Schwarz das Rathausbräu Michelstadt, in dem er selbstgebrannten Schnaps ausschenkt.
Er ist ein rustikaler, freundlicher Mann mit tiefer Stimme, der ein wenig an Klaus Theo Gärtner erinnert. In seiner Garage stehen alte Mercedes-Oldtimer, an den Wänden hängen Poster von Film-Plakaten. Ausnahmslos Filme der Tochter. Man sieht: Das kleine Imperium der Familie, das sich an einem abschüssigen Platz seitlich einer der beschaulichen Hauptstraßen befindet, ist komplett. Links das alte Wohnhaus, rechts das neue Rathausbräu und in der Mitte die träumerei. Sie sieht ein bisschen aus wie ein in Schindeln gepacktes Märchenhaus.
Man fühlt sich daran erinnert, wie Künstler oft von Krafttanken sprechen, wenn man beobachtet, wie Jessica Schwarz hier in dieser Umgebung barfuß auf einem Stuhl sitzt und eine Zigarette raucht. Oder ihre zwei Neffen in das Auto packt und zum Bauernhof fährt. „Ich nehme mir viel Zeit, um hier zu sein, weil ich die beiden aufwachsen sehen will“, sagt sie, „unsere Familie hat eine ganz gute Gabe, Harmonie auszustrahlen und auch zu geben. Wir sind dadurch gute Gastgeber.“
Nach diesem Film wird auch der Letzte im Land wissen, dass sie eine der besten ihrer Zunft ist. An der Wand hinter dem Empfangstresen hängt ein Bild von ihr, gemalt vom Schauspieler Alexander Scheer. Darauf ist sie lasziv abgebildet, rauchend, und sie sieht schon ein wenig aus wie die, an der sich so viele deutsche Schauspielerinnen messen müssen – die ewig leidende Romy, zerbrochen zwischen Gefallsucht und Einsamkeit. Jessica Schwarz wird nach den Dreharbeiten Erholung brauchen. Wo sie diese finden wird, ist klar.
die träumerei |
Suite Dreams
Sie spielt nicht nur Romy Schneider. Jessica Schwarz ist in eine ganz neue Rolle geschlüpft: in die der Gastgeberin. Zu Besuch in ihrer sehr persönlich eingerichteten Herberge
Story aus 2008.
Ein online Spezial zum Anlass der "Zehn Jahre H.O.M.E.-Deutschland"-Ausgabe (Dezember 09/Januar 10). |
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