Ein Glas Portwein vielleicht? Der Nachmittag im City-Loft über Wien entwickelt sich zu einem beschwingten Spaziergang durch 500 Quadratmeter Wohnfuturismus. Doch weder das aufschiebbare Glasdach, das einem auf Knopfdruck Cabrio-Feeling verleiht, noch das im Boden eingelassene Goldfisch-Aquarium, das man trockenen Fußes mühelos betreten kann, sind auf irgendeine Form der portweinbedingten Beeinträchtigung zurückzuführen. Alles echt.
„Früher haben wir ebenfalls im Dachgeschoss gewohnt, aber natürlich sind die beiden Wohnungen in keinster Wiese miteinander vergleichbar“, sagt die Bauherrin, die im Kunst- und Kulturbereich tätig ist. „Die neue Wohnung gibt uns ein Gefühl von Freiheit – sie ist eine Art Raumoase in der Großstadt, wo jedes Familienmitglied seinen eigenen Rückzugsbereich hat. Das ist gut so, schließlich leben wir hier zu fünft!“
Der Rückzugsbereich, von dem hier die Rede ist, das ist ein herrschaftliches und vor Kurzem saniertes Palais von Theophil von Hansen, dem Architekten der Börse und des Parlaments, errichtet in den Jahren 1848 bis 1849. Das Abenteuer beginnt im Foyer. Wer in die Wohnung vordringen will, der muss schwindelfrei sein. Denn der Weg ins Wohnzimmer führt über eine fünf Quadratmeter große Panzerglasscheibe, durch die man ins Geschoss darunter sieht. „Ich finde, das ist eine großartige Idee“, sagt die Bauherrin. „Einerseits haben es die Architekten geschafft, Licht nach unten zu bringen, andererseits ist der Raum an dieser Stelle mehr als zehn Meter hoch. Zumindest optisch. Das ist gigantisch!“
Mit der benachbarten Wendelstiege aus poliertem Edelstahl – sie führt hinauf auf die 80 Quadratmeter Dachterrasse – und den darüber hängenden „Mirror Ball“-Lampen von Tom Dixon, sieben Stück an der Zahl – ist die räumliche Skulptur perfekt in Szene gesetzt. „Ich denke, es sollte in jeder Wohnung ein paar Ecken geben, die mit besonderer Sorgfalt gestaltet und somit ein richtiger Hingucker sind“, sagt die Architektin Maria Planegger. Gemeinsam mit ihrem Partner Andreas Schmitzer betreibt sie das Wiener Büro project A01 und zeichnet verantwortlich für den gläsernen Hightech-Palast im Dachgeschoss. „Das hier ist so ein Eck.“
Der Kraftakt während der Errichtung war enorm. In einer italienischen Manufaktur hergestellt, musste die Wendeltreppe mit einem Kran über das noch nicht ganz fertige Dach eingehoben werden. Vor Ort wurden die einzelnen Edelstahlelemente dann miteinander verschweißt und verschliffen. „Unsere Idee war, dass sich die Wendeltreppe aufgrund der Spiegelungen im Raum mehr oder weniger auflöst“, sagt Planegger. „Wir wollten, dass sie aussieht wie der Hauch einer Skulptur.“ Die Inspirationsquelle dafür lieferte – die Absicht ist nicht zu übersehen – Anish Kapoors blank polierte Edelstahlbohne „Cloud Gate“ in Chicago.
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Über den Dächern von Wien schuf das Architekturbüro project A01 ein Penthouse, das nicht nur futuristisch aussieht, sondern auch sämtliche technischen Register zieht. Das nächste Jahrhundert kann beginnen
Text
Wojciech Czaja
Fotos
Philipp Kreidl
Komplette Story: H.O.M.E. November 2010 |