Seit Jahrzehnten gilt Trastevere als Künstlerviertel und wird ständig von vielen Touristen und Römern besucht. Das ehemalige Arbeiterviertel ist durch den Tiber vom historischen Stadtzentrum getrennt und hat daher einen ganz eigenen Charakter entwickelt und erhalten. Verwinkelte Gassen, beschauliche Plätze, alte Kirchen und gemütliche Restaurants ziehen immer mehr Besucher in ihren Bann. Trastevere ist ein Dorf mitten in der Stadt, ein Dorf mit 2.500 Jahren Geschichte und vielen versteckten Sehenswürdigkeiten, ein Stadtteil voller Legenden und Geheimnisse.
Nachdem Künstler, Kinofachleute und andere Trendsetter das Viertel und seinen urigen Charme für sich entdeckt haben, ist der Bezirk schnell zum Szene-Stadtteil avanciert. So ist er heute bei eingesessenen Römern als Wohnviertel besonders begehrt. Rustikaler Charme und Coolness – das ist die Kombination, welche die neuen Bewohner anlockt. Bei einem kurzen Spaziergang durch die engen Gassen kann sich der Besucher zunächst kaum vorstellen, dass sich hinter den alten, vergammelten Mauern schicke Wohnungen verbergen, in denen die Stimmung der Gegenwart und das Flair der Vergangenheit durchaus im Einklang stehen. Als der römische Architekt Massimo d’Alessandro mit seinem Team beauftragt wurde, einen alten Pferdestall zu renovieren und umzugestalten, war er der richtige Mann am richtigen Ort.
Seine Projekte sind von einer klaren Formensprache geprägt, die zwischen Respekt vor der Tradition und Mut zur Modernität liegt, wobei er gerne den suggestiven Weg des Kontrastes beschreitet. Seine Werke orientieren sich an die Vergangenheit, aber sie gehören der Zukunft. Sie werden von Licht und Materie beeinflusst; sie gewinnen an Kraft und Suggestion durch das leichte Spiel der Fantasie. „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es nicht ungewöhnlich, in Trastevere noch Pferdeställe zu finden, wo Tiere und Kutschen untergebracht wurden. Die Besonderheit dieser Räume lag vor allem darin, dass sie über eine außergewöhnliche Höhe verfügten“, erklärt d’Alessandro. In Trastevere gelang ihm das anspruchsvolle Vorhaben, einen dieser Ställe in eine komfortable Residenz zu verwandeln.
Zwölf Meter hohe Wände und ein Giebeldach mit sichtbaren Holzbalken waren die Merkmale, die den Ort schon beim ersten Anblick spektakulär machten. „Die Atmosphäre war toll“, erinnert sich der heutige Besitzer an den ersten Besichtigungstermin. „Das Gebäude strahlte solche Ruhe aus. Dazu trugen auch die zahllosen Details aus alter Zeit bei, die mich von Anfang an überzeugten.“ Der Auftraggeber hatte den alten Stall für sich und seinen Partner gekauft. Die Herausforderung für den Architekten und seine Mitarbeiter bestand darin, ein modernes Domizil zu schaffen, ohne den ursprünglichen Charakter des Ortes zu eliminieren.
Die imposante ehemalige Halle blieb in ihrer ganzen Großzügigkeit erhalten, weder die Höhe noch die Abfolge der Räume wurden verändert. Auch der kostbare Dachstuhl konnte sorgfältig saniert und zu neuem Leben erweckt werden. Die fast 200 Quadratmeter große Fläche erstreckt sich über das gesamte Erdgeschoss. Sie bildet das Zentrum des Hauses und den idealen Ausgangspunkt für die Aufteilung der wohnlichen Funktionen.
Die offenliegenden Deckenbalken und die intensive Verglasung unterstreichen den ursprünglichen Zweck der gewerblichen Architektur. Eine breite Fensterfront gewährleistet viel natürliches Licht. Sie öffnet sich zu einem kleinen Hof, der mit seiner puristischen Gestaltung an asiatische Gärten erinnert. Durch rahmenlose Bögen und Schiebetüren betritt man drei kleinere Nebenräume, die als Speisesaal, Küche und Gästezimmer dienen. So sind die Räumlichkeiten klar unterteilt und gehen dennoch sanft ineinander über. Das Erdgeschoss hat sein originales Erscheinungsbild weitgehend bewahrt. Allerdings wurde ein neuer Boden aus Holzplanken verlegt. Er harmonisiert mit der Balkenkonstruktion und bildet einen schönen Kontrast zu dem Band aus dunklem Eisen, der die Konturen der Räume markiert.
Für eine ungezwungene Stimmung sorgt die schlichte, sparsame Einrichtung. Fast neutral wirkende Designstücke werden mit gezielten Farbtupfern komponiert. Um mehr Leichtigkeit zu gewinnen, ließ der Planer alle Wände weiß streichen. Oberhalb der Sitzgruppe wurde außerdem ein maßgefertigter Glaslüster angebracht.
„Von den ersten Realisierungsphase des Projektes an haben mein Team und ich festgestellt, dass wir die ursprüngliche Atmosphäre des Ortes bewahren wollten. Der grandiose Pferdestall mit seinem teilweise irregulären Grundriss sollte als Wohnzimmer benutzt werden, ohne den Raum für weitere Nutzungen zu opfern“, so der Architekt. Die Aufgabe des Gestalterteams war damit klar: Es sollte einen Platz für den Schlafbereich schaffen, der den Proportionen des Wohnzimmers nicht schaden würde. Mit kühnem Gestus gelang es d’Alessandro, dieses Ziel zu erreichen.
Für seinen Kunden konzipierte er den privaten Teil der Wohnung als ein Baumhaus, das sich auf einem schrägen Stamm 3,50 Meter hoch über den Wohnraum erhebt. Kaum hat man einen Schritt in den Wohnraum getan, wird der Blick nach oben auf das dunkle, geheimnisvolle Objekt gelenkt. Wegen seiner Metall-Auskleidung erinnert es an einen Wohnwagen, mit etwas Fantasie sogar an ein Raumschiff. „Man kann die Geometrie der Kabine nicht auf einem Blick erfassen, weil sie keine Symmetrie hat. Eine asymmetrische Form bringt eine gewisse Dynamik mit sich“, erklärt der Architekt.
Eine an die Wand angelegte Stiege aus Filigran-Eisen führt hinauf zu einer offenen Galerie, die den Wohnraum an drei Seiten umgibt. Über ebendiese Galerie erreicht man die eiserne Box, in der Schlafzimmer, Badezimmer und Ankleideraum untergebracht sind. Absichtlich hat d’Alessandro einen etwas komplizierten Verlauf geplant, um den Bewohnern auf dem Weg durch das Haus immer neue Überblicke der Wohnung anzubieten. Auch von unten betrachtet bekommt der originelle Schlafplatz dank differenzierter Perspektiven immer neue Gesichter. Von Anfang an war der Besitzer vor der Idee begeistert, in einem Baumhaus zu übernachten. „Mein Schlafzimmer ist spitze“, schwärmt er. „Seit meiner Kindheit habe ich von einem Bauhaus geträumt. Die uralte Sehnsucht, sich auf einen Baum zurückzuziehen und damit vom Erdboden abzuheben, ist bei mir immer wach geblieben.“ Jetzt kann er entspannt schlafen. Weil sein Traum wahr geworden ist.
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Ewiger Landsommer in der ewigen Stadt. Wie ein kreativer Architekt einen ehemaligen Pferdestall im hippen Trastevere – dem römischen „Dorf in der Stadt“ – in ein modernes City-Loft verwandelte, das auf wunderbar natürliche Weise Wärme verströmt
Text
Monica Zerboni
Fotos
Nico Marziali
Komplette Story: H.O.M.E. Dezember 2010 |