Donnerstag, 28. März 2024
 
   
 



LINKS

ARRIVIERT:

Das Entree wird durch die Treppenöffnung über die obere Etage mit Licht geflutet. Der Kunstsammler ­empfängt hier mit einem Werk des ­Berliner Künstlers Maik Wolf. Auch das in die Trennwand ­eingebaute Aquarium beweist Transparenz


RECHTS

MEISTERWERK

Einen Treppenbauer für diese komplizierte Konstruktion zu finden, war gar nicht so leicht. Schlussendlich antwortete ein ­baden-württembergischer Handwerksbetrieb auf die Anfrage mit einem schwäbischen „Des isch kei’ Problem!“. Die Porzellanfische der ­Leuchte „Shoal“ von Scabetti korrespondieren wunderbar mit den echten Fischen im Meerwasseraquarium. Hocker „Soshun“ von Edra


Die Bewohner sind eigentlich gar keine Altbaufans“, erklärt Holger Hansen, als er die Tür zur Maisonette im Berliner Stadtteil Wilmersdorf öffnet. Und tatsächlich muss das Auge nicht lange suchen, um zu erkennen, dass hier einiges dafür getan wurde, um der Wohnung jeglichen Anflug kleinteiligen Altbaucharakters auszutreiben. Schon im Entree zeigen sich eine Offenheit und Weitläufigkeit, wie sie in den Stadtwohnungen der Gründerzeit normalerweise nicht zu finden sind. Zwar sind sie hier im traditionell reicheren Westteil größer, herrschaftlicher und prächtiger ausgeschmückt als die Arbeiterunterkünfte im einst industriel­len Osten.
Derart offene Räume und freie Fluchten brachten jedoch erst die Architekten hansenwinkler herein. Dass die Hausherren diese Art zu wohnen schätzen, das wusste zumindest Marco Winkler bereits. Der Produktdesigner mit einschlägiger Erfahrung bei namhaften Inneneinrichtern hatte vier Jahre zuvor die zwei Etagen tiefergelegene Wohnung der TV- und Musikproduzenten eingerichtet. Als das Paar den Umzug in die obere Etage und den Ausbau des Dachgeschosses plante, rief es Winkler an und sagte: „Es geht weiter!“

In der Zwischenzeit hatte sich der Designer mit dem Architekten Holger Hansen zusammengeschlossen. Dieser hatte unter anderem im in­ter­nationalen Architekturbüro Henn im Team rund um das französi­sche Gestalterurgestein Andrée Putman gearbeitet. 2004 wurde ihm als ehe­maligem Projektleiter bei AMJ Design, wo er die Planung und Ausführung von Hotels im Fünf-Sterne-plus-Segment leitete, ein eigenes Hotelprojekt angeboten, das er allein nicht bewerkstelligen mochte. Als hansenwinkler hatte das Duo nicht nur besagten Hotel- und Businesskomplex in Budapest, sondern in der Folge die Boutique von Wolfgang Joops Wunderkind am Berliner Gendarmenmarkt und den Showroom des Modelabels in Mailand geplant und eingerichtet. Auch einen Schokoladensalon in Münster, die Büroräume der Medienproduktionsfirma South & Browse in den Berliner Sarotti-Höfen und das neue Domizil der TV-Moderatorin Tita von Hardenberg in Mitte hatten sie gemeinsam durchgezogen.


Zum Termin in Wilmersdorf erschienen hansenwinkler folglich zu zweit. „Eigentlich war schon ein Architekturbüro für den Umbau beauftragt, aber wir wussten sofort, dass man hier noch mehr herausholen konnte“, erinnert sich Hansen und berichtet weiter: „Wir hatten die Idee, den Dachausbau komplett modern zu halten und diese Art von Geradlinigkeit auf der unteren Etage mit der Altbauwelt zu verbinden.“ hansenwinkler erhielten nicht nur den Auftrag für die Einrichtung, sondern auch den für die Gesamtplanung der rund 600 Quadratmeter.


Ein besonders aufregendes Beispiel für die Zusammenführung beider Stilwelten ist die minimalistisch geschwungene Treppe, die sich im Entree über die Höhe beider Etagen erstreckt. Sie verbindet Wohnzimmer, Küche, Essbereich, Kinder- und Gästezimmer unten mit Lounge inklusive Kamin und Kitchenette, Spa und Schlafzimmer oben. Der dunkle Räuchereiche­boden des Obergeschosses kommt über die Treppenstufen hinunter und trifft dort auf das Fischgrätparkett des Altbaus. „Eine unserer Stärken ist sicherlich, dass wir sehr stark visualisieren. Die Bauherren konnten sich den Eingang mitsamt dieser komplizierten Treppenform bereits im Vorfeld sehr gut vorstellen und waren so leicht von der Idee zu überzeugen“, meint Winkler. Weniger leicht war es, einen Handwerksbetrieb zu finden, der die geplante Konstruktion auch umsetzen konnte. Nach unzähligen Anfragen landete Hansen bei einem Betrieb in Baden-Württem­berg. „Als die Stimme am anderen Telefonhörer plötzlich im schwäbischen Dialekt ,Des isch kei’ Problem!‘ antwortete, waren wir einfach nur glücklich“, lacht der Architekt.
Während die bestehenden Raumstrukturen unten durch das Verschwinden von Wänden, geöffnete Flügeltüren oder das in die Wand eingelassene Meerwasseraquarium­ aufgebrochen werden, finden Barrieren oben erst gar nicht statt. Vom Loungebereich geht es über drei Stufen zum Spa in den Dachseitenflügel. Hier sollten hansenwinkler­ eine Sauna für vier Personen unter­bringen. Als Lösung planten sie vier Meter lange Sauna­bänke auf zwei Ebenen in die Schräge hinein.


Sauniert wird natürlich, hinter Glas. Auch vor der Dusche und sogar dem WC finden sich Glastüren. Bei der frei stehenden Whirl­wanne wurde komplett auf störende Wände oder Türen verzichtet.


Hand in Hand mit dem Konzept der fließenden Übergänge wünschte sich das Bauherrenpaar eine maximale Lichtausbeute. „Unser Thema war immer: Licht. Alles sollte so hell wie möglich sein“, so Hansen. Je mehr Wände verschwanden, Durchbrüche gemacht, Decken eingerissen, Gauben ausgebaut, Fenster vergrößert, Oberlichten und Lichtschächte eingerichtet wurden, desto näher rückten die Architekten ihrem Ziel. Damit die Nachbarschaft trotzdem nicht auch an dieser Offenherzigkeit teilnehmen kann, errichteten hansenwinkler vor der Dachterrasse am Spa-Atrium einen Sichtschutz. Die schützenden Lamellen dieser Konstruktion verjüngen sich nach unten hin – um auch hier die maximale Lichtausbeute von oben zu gewährleisten.


Nur eines leidet unter dem offenen Wohnen mit viel Glas: die Möglichkeit, Kunst zu hängen. Im Grunde genommen ist es also sogar gut, dass die Bewohner – obzwar keine ausgesprochenen Fans dieser Bauweise – zumindest zum Teil im Altbau untergekommen sind. Fast ohne Wände wäre es nämlich schwierig geworden, ein paar schöne Plätze für die Kunstsammlung zu finden.

 

 

 

 

Das Beste aus beiden Welten:
In seiner Berliner Maisonette bringt ein deutscher TV-Produzent Nostalgiecharme und zeitgemäße Architektur unter einem Dach zusammen

 



 

Text

Sandra Piske

 

Fotos

Martin Mai

 

Komplette Story: H.O.M.E. Februar 2011